by Thomas Kwapil
Oberleitungen waren das vorrangige Thema der Ausstellung Nervous Breakthrough: sie verbinden ein Gebäude mit dem nächsten, ziehen sich durch Straßenzüge wie das Nervensystem eines übergroßen Organismus´. Geht man einen Kabelstrang nach, so ist es gut möglich, irgendwann auch in Sibirien zu landen.
Vor diesem Hintergrund und dem Vergleich mit neuronalen Netzwerken von Lebewesen wurde der Begriff des Grätzls näher untersucht: grenzt ein Mensch sich mental von seinen umliegenden Straßenzügen ab und stellt man nur noch jene verwendeten Straßen und Gassen mittels durchgehender, gezeichneter Linien (= Oberleitungen) dar, entstehen autarke und vom Umfeld abgetrennte, in sich geschlossene Systeme; und ähnlich wie Oberleitungen schweben die künstlerisch dargestellten Anordnungen im Raum, in denen visuell sämtliche Gebäude und die Infrastruktur einer Stadt entfernt wurden. Das Schattenbild ist dabei nicht nur Indiz für die räumliche Komponente der Darstellung, sondern steht in direkter Konfrontation mit dem strukturgebenden Liniennetz: Teile verschmelzen miteinander, andere widerrum stemmen sich voneinander ab; fallweise wird der Schatten zur Linie und umgekehrt.
Die skulpturale Serie A Thousand Corpses – mit Leim verklebte Zeitungstürme in der Mitte des Ausstellungsraums – bildet die metaphorische, neuronale Schaltzentrale des Gesamtensembles: Informationen in Form von Zeitungspublikationen läuft konzentriert zusammen, um auch hier wieder, ähnlich der Oberleitungen, das Lokale in die Welt zu entlassen.
Filigrane Plastikskulpturen – namensgebend für die Ausstellung Nervous Breakthrough – sind gewissermaßen haptische Zeichnungen im Raum, deren Linienführung die notwendige Statik für ihr dreidimensionales Flechtwerk bilden und zwischen bzw. an den Wänden wachsen: der Schatten wird damit zum wesentlichen Teil des Gesamtentwurfs.
Einerseits ist es eine Hommage an die fast wildwüchsigen Oberleitungen in Städten wie Tokyo und Odessa, wie sie vom Künstler selbst vor Ort dokumentiert wurden; andererseits wurde den überirdischen Geflechten eine eigenständige, fast schon symbiontische Qualität verliehen: Organismen, die an bestehende architektonische, urbane Strukturen andocken um dort ihren Lebensraum zu entfalten, und gleichzeitig ihre verbindenden, vernetzenden Eigenschaften zur Verfügung stellen.
© Atelier Thomas Kwapil, Wien, 2014